Das neue Werbe-Duzen als Sprachunfall und seine Wirkung auf die Positionierung von Marken.
Eines Tages, soeben war ein frisches Systemupdate am Mac durchgeführt worden, wollte doch glatt das Betriebssystem „per Du“ sein. Ohne vorher höflich zu fragen, einfach mit der Tür – Pardon: dem Login ins Haus gefallen. Woran man in Smartphone-Apps und -Systemen schon gewöhnt war, nämlich mit dem vertraulichen „Du“ angesprochen zu werden, so als ob der Hosentaschencomputer ein persönliches Verhältnis mit den Nutzer:innen hätte, schlich sich in letzter Zeit auch auf Apples Rechnern und Tablets ein.
Das muss man schon mögen, denn gerade wenn es sich um ein Arbeitsgerät handelt, kann es durch aus kurios wirken, wenn der Fluch nach einem funktionierenden Druckertreiber mit dem Bildschirmdialog „Du musst im App-Store fehlende Software laden“ quittiert wird. Das klingt viel eher nach persönlichem Auftrag, anstatt das IT-Team anzurufen, damit man sich dort darum kümmert.
Mit der verbreiteten, neuen Duz-Un-Kultur haben vermutlich die sozialen Medien, allen voran Facebook so richtig angefangen. Denn hier war man der Ansicht, es handle sich bei den Nutzer:innen durchwegs um Menschen unter 40, da kann man schon flapsig „Your account is ready“ in den Bestätigungsdialog packen. Bloß: Dieses „Du“ ist gar keines. Das amerikanische „you“ ist bekanntermaßen stark kontextabhängig und bedeutet daher keineswegs automatische Vertrautheit mit dem Gegenüber. Schlampige Übersetzungen sind spätestens seit dem Aufkommen von US-stämmigen Onlinediensten und mobilen Apps ein merkliches Sprachproblem, das beim sinnfällig falsch eingedeutschten Dauer-„Du“ nicht Halt macht.
Zur Erfahrung des ersten Kusses sagt in den USA auch niemand "Learn more".
Wir kennen es von unzähligen Tastenbeschriftungen auf Homepages, die uns auf Englisch freundlich zu einem „Learn more“ auffordern, in Deutsch jedoch mit dem affigen Pendant „Mehr erfahren“ regelrecht Unsicherheit auslösen können, ob man denn gerade jetzt, bei der Suche nach einer App für Kochrezepte oder einer Buchhaltungssoftware bereit für neue Erfahrungen ist. Denn anders herum laden Halbwüchsige in den USA einander ja auch nicht im hintersten Eck des Schulhofes mit „Learn more“ dazu ein, ihre erste Erfahrung mit dem ersten Kuss zu machen. Oder mit mehr davon, je nach dem.
Genauer betrachtet finden sich schludrige Texte in anbiedernder, auffordernder Du-Sprache an allen Ecken und Enden auf digitalen Kanälen und den dazugehörigen Geräten. Auch Werbesujets in Kampagnen, die noch vor wenigen Jahren recht genau nach Zielgruppenansprache geduzt oder gesiezt haben, setzen sich mit lässiger Nonchalance darüber hinweg und versprechen potentiellen Käufer:innen auch ein teures E-Auto als „Deine neue Mobilität“ oder einen vermeintlich aktionsgeladenen Skiurlaub als „Hier bist Du angekommen“. Haben nun die Älteren den Kids die Modetrends geklaut, dann die Musik und die Sportarten und jetzt auch noch die Ansprache? Wir sehen es auch in den Heatmap-Oberflächenmessungen unserer CIDCOM-Kundenwebsites: Ein einfaches "OK" erhält den Klick früher als ein unscharfes "Erfahre mehr".
Weit gefehlt. Denn die Geschichte des Werbe-„Duzens“ auf Deutsch ist schnell erzählt (und mit ihr auch die Gründe, es nur sparsam oder gleich gar nicht zu verwenden). Zunächst aber wissenswert: Wir sind in Europa in bester Gesellschaft, wenn es um die elegante Unterscheidung des höflichen „Sie" zum saloppen „Du“ geht. Praktisch alle romanischen Sprachen verwenden sie, slawische ebenso und natürlich das edle Französisch. Allein das Polnische kennt ganze sieben Formen der Ansprache im Singular und Plural! Und interessanterweise führen die genannten Sprachen auch wesentlich weniger Anglizismen im täglichen Gebrauch, können also gut auf das verzichten, mit dem wir im Deutschen oft kniefällig Unsinn verzapfen, um „jetzt mehr erfahren“ zu können.
"Ich glaub’, mich siezt ein Elch" – Schweden kommt vom "Du für alle" ab.
IKEA hat es also in den siebziger Jahren vorgemacht und aus dem Schwedischen das dort etwa 1967 offiziell als einzige Anredeform eingeführte „Du“ auch gleich in die Werbung gepackt. Klar, damit wurde ja seinerzeit in Schweden eine Sprachvereinfachung verordnet, weil es kein höfliches Sie, sondern nur eine passive Ansprache von Respektspersonen in dritter Person gab. Das war vielen einfach zu kompliziert, und außerdem dem Umgang mit dem Adel und dem Königshaus entlehnt. Der Erfolg sprach für sich, denn IKEA konnte dank einer simplen Übersetzung ins Deutsche eine ganz klare Positionierung erreichen, die vermutlich anfangs mehr an den Slogans als an den Möbeln lag. "Du und IKEA“, wir beide zeigen den anderen steifen Marken, wie man Wohnen besser macht. Ein Geniestreich. Allerdings mit Ablaufdatum.
Denn seit einiger Zeit macht sich nicht nur in Schweden vor allem bei jungen Menschen das höfliche Siezen wieder breit (etwa in Restaurants oder am Arbeitsplatz), auch IKEA pflegt in der direkten Kommunikation mit den Kund:innen wieder das „Sie“. Kein Wunder, denn weder macht es in Schweden Spaß, vom Chef per Du zu Überstunden aufgefordert zu werden und nicht widersprechen zu können, noch bei IKEA an einem Servieschalter mit einem scheinbar unlösbaren Möbelproblem salopp geduzt zu werden.
„Das Sie wird immer reduzierter eingesetzt, das Du greift weiter um sich“, sagt auch die Sprachwissenschaftlerin Stefanie Stricker von der Universität Bamberg. Problematisch: Ein Unternehmen, das den falschen Ton trifft, läuft Gefahr, potenzielle Kundschaft zu vergrätzen. „In diesem Punkt sind wir derzeit in einem aufgezwungenen Sprachwandel begriffen […].“ so die Expertin. Und was ist denn so falsch daran, diese Unterscheidung wieder bewusst einzusetzen und damit der Marke und ihrer Kommunikation Gewicht und Status zu verleihen? Würden Kund:innen ein Produkt auf Instagram deswegen nicht kaufen, weil das Posting und der dahinterliegende Webshop „siezen“? Wohl kaum, denn man muss sich ja erst gar nicht in diese missliche Lage bringen.
Texte brauchen Qualität: Hände weg vom Dauer-Du.
Man kann es nämlich auch handwerklich lösen. Die Texter:innen und Contentgestalter:innen im CIDCOM-Team sind nämlich gut darin, die direkte Anrede in Texten etwa für Headlines, Websites oder Social Media nur als Stilmittel zu verwenden, wenn es unbedingt sein muss. Das fällt oft nicht leicht, weil man sich an die schlampig gewordene pseudodeutsche Netzsprache schon sehr gewöhnt hat. Es ist den Aufwand aber wert, denn sprachliche Eleganz und professionelle Distanz tun Marken und ihrem Auftreten meist besser, als sich überall „per Du“ anzubiedern. Wer es nicht glauben will, dem sei verraten: Nicht nur junge Schwed:innen legen neuerdings wieder mehr Wert auf Abgrenzung und Höflichkeit, auch hierzulande liegt der zusehends konservativeren Jugend viel an der feinen Unterscheidung von „Sie“ und „Du“. Der feine Unterschied ist eben auch ein Teil der Positionierung.
Text: Stephanos Berger